Khaled Hafez | |||
Critical Texts |
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10 Vorurteile über Kunst und Islam und was davon zu halten ist Zwar wird Kunst aus islamischen Ländern immer erfolgreicher, doch ihre Wahrnehmung ist noch immer von Klischees geprägt. art hat sie geprüft - und stellt interessante junge Künstler aus dem arabischen Kulturkreis vor 1 Es gibt überhaupt keine Kunst aus islamischen Ländern FALSCH. Die Zeit, wo Künstler aus den arabischsprachigen Ländern seltene Exoten auf den bedeutenden Kunstfestivals waren, nähert sich dem Ende. Seit Mitte der neunziger Jahre haben sich in diversen Ländern des Vorderen Orients und Nordafrikas lebendige Kunstszenen entwickelt, die langsam auch ihren Niederschlag in den Künstlerlisten der Biennalen und der westlichen Galerien finden. Istanbul an der geografischen Bruchstelle zwischen Okzident und Orient spielt hier eine Sonderrolle, nicht zuletzt wegen der Istanbul-Biennale, die seit 1987 als schneller Brüter für türkische Kunstkarrieren gewirkt hat. Aber auch andere chaotische Metropolen des Nahen Ostens wie Kairo, Teheran oder Beirut inspirieren ihre Intellektuellen und Sonderlinge zur Kunstarbeit. Sogar in dogmatischen Diktaturen wie Saudi-Arabien gibt es zeitgenössische Künstler. Allerdings setzen die politischen, sozialen und religiösen Rahmenbedingungen in den meisten Ländern zwischen Maghreb und Makresch der Kunst engere Grenzen als im Westen. Freie Kunst ist hier ein Roulette mit komplizierteren Spielregeln. 3 Frauen haben keine Chance, in islamischen Ländern als Künstlerinnen zu arbeiten FALSCH. Dort, wo sich zeitgenössische Kunst entwickeln kann, sind Frauen mindestens so intensiv daran beteiligt wie Männer - sei es mit Kopftuch in Teheran oder ohne in Kairo. Yto Barrada aus Marokko, Amal Kenawy aus Ägypten, Emily Jacir aus Palästina oder die Libanesin Randa Mirza sind prominente Beispiele für international erfolgreiche Künstlerinnen. Die ägyptische Videokünstlerin Hala Elkoussy antwortet deswegen auf die Frage, ob sie weibliche Unterdrückung in der islamischen Welt zum Thema ihrer Kunst macht: "Künstler sind keine Sozialarbeiter, das ist in der ‚islamischen Welt' nicht anders als im Westen. Aber wie jeder Künstler mache ich Arbeiten, die sich auf meine Erfahrungen beziehen, und da ich nie als Frau unterdrückt wurde, gibt es hier nichts für mich zu diskutieren." Völlig anders sieht das in einem Land wie Afghanistan aus. Lida Abdul, die Videoprojekte in Kabuls Ruinen inszeniert, beschreibt ihre Erfahrungen so: "Ich bin als Künstlerin mit zahllosen Problemen konfrontiert. Ich bekam Morddrohungen während ich ein Video drehte und habe unglaubliche Probleme mit der Bürokratie. Um es kurz zu sagen: Frauen werden in Afghanistan nicht für voll genommen." 4 Das islamische Bilderverbot lässt nur abstrakte Kunst zu FALSCH. Bereits in den Jahrhunderten, als es noch eine "Islamische Kunst" gab, die sich in ihrer Formensprache deutlich von westlicher Kunst scheiden ließ, entsprach die Behauptung, figürliche Darstellung sei den Moslems verboten, nicht der Wahrheit. Sie war in den Moscheen nicht erlaubt, in der weltlichen Kunst aber immer präsent, auch, wenn sie nie den Realismus anstrebte, den die christliche Malerei erreicht hat. In der zeitgenössischen arabischen und persischen Kunst, die formal nicht von westlicher Kunst zu unterscheiden ist, steht der Mensch sogar deutlich mehr im Vordergrund als im westlichen Schaffen. Als relativ junge Bewegung und konfrontiert mit politischen und sozialen Spannungen ist die westliche Neigung zu Minimalismus oder ästhetischer Perfektion bei diesen Künstlern nicht vordringlich. Saâdane Afif, Runa Islam oder die in Berlin arbeitende Iranerin Nairy Baghramian sind Beispiele erfolgreicher Künstler, die sich allein mit der Zeichen- und Kunstgeschichte, der Philsophie und Popkultur ihrer neuen Heimatsphäre beschäftigen oder nur noch ironisch mit ihrer Herkunft umgehen wie der Algerienfranzose Adel Abdessemed, der sich an die Decke werfen lässt, um dort "Allah" hinzuschreiben. 5 Wer internationale Kunst in islamischen Ländern machen will, muss ins westliche Ausland gehen RICHTIG. Die neue Ära der arabischen Kunst begann in London, Paris und New York. Shirin Neshat, Mona Hatoum, Walid Raad, Kader Attia, Mounir Fatmi oder Y.Z. Kami, Künstler, die heute internationale Stars sind, verdanken ihren Erfolg der Diaspora. Repressive Regime und gewalttätige Konflikte in ihren Heimatländern sowie das Desinteresse westlicher Kunstagenten für die orientalische Subkultur verlegten Mitte der Neunziger die Eingangstore zur arabischen Kunstwelt in westliche Metropolen. Auch heute noch verbleiben die Kunstszenen dieser Länder ohne die Nabelschnur des globalen Kunstbetriebs im Embryonalstadium. Trotz Internet und Satellitenfernsehen entwickelt sich international konkurrenzfähige Kunst im arabischen Raum vor allem dort, wo Künstler reisen und internationale Kontakte pflegen können. 6 Die Anschläge vom 11. September 2001 haben die Situation der Künstler in der islamischen Welt verschlimmert FALSCH. "Für die Kunst hatte der 11. September den Effekt, dass sich plötzlich viele internationale Kuratoren für die islamische Welt interessierten", beschreibt der ägyptische Künstler Khaled Hafez die merkwürdige Segnung des Terrors. Plötzlich wurden Kuratoren Budgets bewilligt, um in den rudimentär organisierten Kunstszenen zwischen Kabul und Tanger nach Antworten zu suchen, was in der Terra incognita der islamischen Kultur denn bloß los sei. Mit dieser Suche nach Erklärungen begann ein neues Zeitalter der Orient- Expeditionen, das die lokalen Szenen aus dem toten Winkel der Kunstwahrnehmung holte. Vor allem in Kairo und Beirut sowie in Israel und Palästina stieß die Kuratoren- Karawane auf zeitgenössisches Kunsttreiben. Diverse Großausstellungen präsentierten ab 2002 mit einem Stoßseufzer ihre Beute: Kritische Intelligenz, die der westlichen Ahnungslosigkeit das beruhigende Gefühl vermittelte, dass die islamische Welt nicht vollständig in die Hände von bärtigen Terroristen, despotischen Scheichs und korrupten Politikern gefallen ist. Erst seit dieser Zeit entwickelt sich ein vitales Netzwerk zwischen dem globalen Kunstmarkt und einem seiner letzten Stiefkinder. Während sie in Städten wie Istanbul, Beirut und Kairo, in denen sich globale Kultur mit islamisch geprägter Lebenswelt relativ frei mischt, kaum vorkommt, hemmt die religiöse Oberaufsicht in Saudi-Arabien oder im Iran noch die Entfaltung der Kunst. Dennoch gilt fast generell, dass es die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit zeitgenössischer Kunst ist, die sie vor Repressionen schützt. Leider wirkt das opportunistische Phlegma in den polizeistaatlich regierten Ländern als Quasi-Zensur. Der Marokkaner Mounir Fatmi sagt dazu: "Bedrohlicher als die offizielle Kontrolle ist, dass diese Systeme die Menschen dazu bringen, sich selbst zu zensieren. Um meine Arbeit zu machen, musste ich deshalb ein paar Schnitte machen: zu meinem Vater, zu meiner Tradition, zu meinem Land. In Marokko meine Vorstellung zu entwickeln, war unmöglich." Bige Örer, Direktorin der Istanbul-Biennale, sieht die große Euphorie über eine neue Ära arabischer Kunst deshalb noch skeptisch: "Man muss weiterhin Risiken eingehen und Regeln brechen. Wer sich selbst zensiert, hat schon verloren." Themen wie Homosexualität etwa provozieren selbst in einem relativ freien Land wie der Türkei noch Aggressionen. Und dort, wo Sittenwächter in Machtpositionen sitzen, kann sexuelle Identität nur durch ein intelligentes Spiel mit verschlüsselten Codes dargestellt werden. MITRA TABRIZIAN, IRAN In der doppelbödigen Gesellschaft des persischen Gottesstaates ist das Private eine Art Subkultur, in der sich künstlerische Freizügigkeit wie im Westen leben lässt. Video- und Fotokunst, Street Art und Malerei haben sich seit den Neunzigern im Verborgenen zu großer Vielfalt entwickelt, allerdings bleibt der Schritt in die Öffentlichkeit ein Risiko. Es gibt über 100 Galerien in Teheran, aber die erste freie Teheran- Biennale findet in Istanbul statt, weil im Iran staatliche Jurys über die Auswahl richten würden. Entsprechend arbeiten die bekanntesten iranischen Künstler im Ausland. MOUNIR FATMI, MAROKKO Nur wenige Künstler der islamisch geprägten Welt setzen sich so ausdrücklich mit den Konflikten zwischen westlicher und islamischer Lebenswelt auseinander wie der in Paris lebende Marokkaner Mounir Fatmi, 38. In subtilen wie drastischen Kombinationen mischt Fatmi Symbole beider Sphären und präsentiert sie in der politischen Absicht, Feindbilder zu zerstäuben. ERINÇ SEYMEN, TÜRKEI Der türkische Künstler Erinç Seymen sagt von sich selbst, dass er halb Künstler und halb Aktivist sei. Seine oft plakativen Gemälde beschäftigen sich mit sexueller Identität und dem Verhältnis von Militarismus und Homophobie. Selbst in der Türkei, die in der islamisch geprägten Welt eine Sonderrolle als Demokratie und relativ freie Gesellschaft genießt, provoziert Seymen als Künstler, der seine Homosexualität zum Thema seiner Arbeit macht. In nahezu allen anderen Ländern des muslimischen Kulturraums ist Homosexualität ein Tabu. Obwohl Pornografie durch Satellitenfernsehen und Internet in der ganzen arabischen Welt konsumiert wird, ist die Doppelmoral immer noch fest etabliert. Künstler, die das heikle Thema berühren, arbeiten außerhalb der Türkei deswegen nur mit sehr vorsichtigen Grenzverletzungen. EMILY JACIR, PALÄSTINA Die politisch brisante Lage in den meisten Ländern des Nahen Ostens hat dazu geführt, dass auch die Kunst dort viel politischer ist als im Westen. Vor allem Künstler, die zwischen den Sphären pendeln, schaffen Arbeiten, die mit den Konflikten ihrer Länder umgehen. Emily Jacir, eine Palästinenserin, die 1970 in Bethlehem geboren wurde, dann über Saudi-Arabien und Italien in die USA kam und heute in New York und Ramallah lebt, ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Ihre Arbeit "Material for a Film", die 2007 den Goldenen Löwen der Venedig-Biennale gewann, zeigt die packende Rekonstruktion eines Mordes, den der israelische Mossad 1972 an dem palästinensischen Intellektuellen Wael Zuaiter verübte. Und für ihre Installation "Where we come from" fragte sie Exil-Palästinenser, was sie für sie in der Heimat erledigen könnte, erfüllte deren teils schwierigen Wünsche und dokumentierte dies. HALIL ALTINDERE, TÜRKEI Auf die Frage, was seine Kunst mit islamischer Kultur zu tun hat, antwortete Halil Altindere: "Nichts." In der extrem vielfältigen und lebendigen Kunstszene der Türkei, die viel stärker nach Europa orientiert ist als in die islamische Welt, ist diese Reaktion die Regel. Trotz der starken Hinwendung zu einem konservativen Islam in der Gesellschaft sind es eher Nationalismus, Militarismus sowie experimentelle und existentielle Fragen, die zeitgenössische Künstler in der Türkei beschäftigen. Aber gerade das Werk Altinderes, 37, der von sich selbst sagt, er beschäftige sich mit dem Alltagsleben, zeugt stark von dem Mix kultureller Einflüsse, der für so viele Künstler der Region prägend ist. Im Porträt eines Transvestiten verbinden sich nationale und religiöse Symbole mit dem provozierenden Ausdruck des Andersseins. LIDA ABDUL, AFGHANISTAN Die vermutlich schwierigsten Verhältnisse für die Kunst sind momentan in Afghanistan zu finden. Armut, Bürgerkrieg und kulturelle Vorbehalte gegenüber freier Kunst stellen enorme Hindernisse dar. Umso erstaunlicher sind die Arbeiten, die Lida Abdul, 35, dort inszeniert. Mit einfachsten Mitteln und poetischem Gespür für Symbolik erzählt sie in kurzen Videos von der Zerrissenheit des Landes und seiner Menschen. In "White House" streicht sie eine Kriegsruine komplett weiß an und vergößert damit die Fremdartigkeit der Zerstörung. In anderen Videos zeigt sie absurde Versuche junger Männer, ein Haus mit Seilen einzureißen. Und in dem Film "In Transit" fesseln Kinder das Wrack eines Bombers wie Gulliver an den Boden. KADER ATTIA, ALGERIEN Paris ist die Heimat vieler Künstler arabischer Herkunft geworden. Obwohl bei den Jüngeren häufig keine Verweise auf die Tradition Nordafrikas mehr in ihren Werken zu finden sind, gibt es wichtige Künstler wie Kader Attia, 38, die beide Welten in Beziehung zueinander setzen. Attia sucht in der alten islamischen Philosophie Verbindungen zu den Ideen moderner westlicher Denker und ist fasziniert von einer Kunst der Gegensätze und Prozesse. Leere und Fülle, Tod und Leben, Gier und Moral, sind solche Oppositionen, wie er sie in "Flying Rats" auf der Lyon-Biennale 2005 umgesetzt hat. Aus Vogelfutter geformte Kinder in einem Käfig wurden über drei Monate hin weg von Tauben gefressen. Am Ende hatten sich die Tauben um 14 Exemplare vermehrt. KHALED HAFEZ, ÄGYPTEN "Fusion" ist das optimistische Zauberwort, auf das viele Künstler im Nahen Osten ihre Hoffnungen setzen. Die scheinbar unaufhaltsame Vermengung von westlichen und östlichen Vorstellungen, wie sie vor allem in einer halbwegs offenen Gesellschaft wie in Ägypten geschieht, wird von Künstlern wie Khaled Hafez, 45, nicht nur als befreiend erlebt, sondern auch in ihrer Arbeit reflektiert. Sharjah-Biennale: Die ambitionierteste Biennale der arabischen Welt ist die wichtigste Plattform für Künstler aus diesem Kulturraum (16. März bis16. Mai 2009, www.sharjahbiennial.org). Townhouse Gallery, Kairo: Kunstzentrum mit Ateliers, Ausstellungen, Archiv und Vertreter vieler wichtiger ägyptischer Künstler (www.thetownhousegallery.com). Art Dubai: Bedeutendste Messe für zeitgenössische Kunst mit Begleitausstellungen und dem Diskussionsprogramm "Global Art Forum", (19. bis 21. März 2009, www.artdubai.ae). Ashkal Alwan: Libanesische Projektplattform, die sich um Ausstellungen und internationale Vernetzung arabischer Künstler kümmert (www.ashkalalwan.org). Al-Ma'mal, Jerusalem: Das vom Leiter der Sharjah-Biennale Jack Persekian gegründete Zentrum widmet sich zeitgenössischer palästinensischer Kunst (www.almamalfoundation.org). Nafas Kunstmagazin: Online-Portal zur Kunst der islamischen Welt mit Rezensionen, Porträts und Abbildungen (http:// universes-in-universe.org/deu/nafas/) Galerie The Third Line, Dubai: Eine der engagiertesten Galerien für zeitgenössische Kunst in den arabischen Staaten (www.thethirdline.com). Bildunterschrift: |
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